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JFCurry 2 november 2004 10:55

Explosive Mischung
 
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,324746,00.html

ISLAMISTEN

Explosive Mischung

Im Kampf gegen den Terror dringen Fahnder immer stärker ins kriminelle
Milieu vor. Viele Gotteskrieger begannen als weltliche Ganoven, in
Gefängnissen wird Nachwuchs rekrutiert.

DPA
Angeklagter Islamist Aschraf al-Dagma: Ein Migrantenmilieu aus
Glücksrittern und Gestrauchelten
Er gilt als durchgeknallter Krimineller und notorischer Gewalttäter, aber
mit Islamismus, da sind sich die Behörden sicher, hatte Samir B., 28,
bislang nichts im Sinn. Der Algerier hatte in Hamburg einen Lieferwagen samt
Fahrer gekapert und während einer wilden Verfolgungsfahrt auf die Polizei
geschossen. Als der Wagen liegen blieb, zündete er eine Handgranate, die den
Fahrer und einen Polizisten schwer verletzte und ihm selbst eine Hand
abriss. Das Gericht schickte ihn dafür 2001 in den Maßregelvollzug in der
forensischen Psychiatrie im Klinikum Ochsenzoll.

Dort fiel bald ein regelmäßiger Besucher auf: B.s Landsmann Abderrazak
Mahdjoub, 31. Der Algerier ist für die Fahnder kein Unbekannter. Er soll
eine Terrorausbildung in Afghanistan absolviert und in Bosnien und
Tschetschenien gekämpft haben. Einsmarter Typ, ein beherrschter Planer.
Seine Freunde nennen ihn ehrfurchtsvoll Scheich.

Geheimdienstlern und Polizisten gaben diese Besuche ein Rätsel auf. Was
verband diese Männer? War es Mitleid? Oder steckte etwas anderes dahinter?
Suchte Mahdjoub gar, so die Befürchtung, einen Glaubensbruder, der verrückt
genug wäre, ein Selbstmordattentat zu begehen?

Seltsame Kontakte wie dieser versetzen Sicherheitsbehörden im ganzen Land in
Alarmbereitschaft. Jüngste Erkenntnisse des Bundeskriminalamts (BKA)
beweisen vielfältige Verflechtungen der Gotteskrieger mit weltlichen
Ganoven. Verfassungsschützer beobachten mit Sorge, wie Islamisten in
Gefängnissen Glaubensbrüder für den Dschihad rekrutieren. In der
Schnittmenge von Islamisten und Kriminellen braut sich eine explosive
Mischung zusammen. "Der Terrorismus", befürchtet BKA-Abteilungsleiter
Max-Peter Ratzel, "hat viele Sponsoren."

Ob Mahdjoub tatsächlich seinen Landsmann für ein Killerkommando gewinnen
wollte, lässt sich kaum noch klären. Am 19. März wurde der Algerier an
Italien ausgeliefert, wo er verdächtigt wird, Attentate im Irak geplant und
Terroristen in die Kampfzone geschleust zu haben.

Seine Kontakte in die kriminelle Szene jedoch sind symptomatisch. Wie
Mahdjoub haben viele Gotteskrieger keine Berührungsängste mit der
Verbrechenswelt. Denn dort erhalten sie, was sie für ein Terroristenleben
brauchen: Geld, Waffen, falsche Pässe. Und manchmal sogar neue Mitkämpfer.

Frühzeitig warnte der Bundesnachrichtendienst (BND) vor islamistischen
Terroristen unter Kleinkriminellen. Wie ernst die Warnung zu nehmen war,
zeigen die blutigen Anschläge von Madrid, wo am 11. März mehrere Bomben in
Zügen explodierten.

Nach den Attentaten, bei denen 191 Menschen getötet und über 1500 verletzt
worden waren, wusste die spanische Polizei innerhalb weniger Wochen, welche
Terroristen die Bomben in den Vorortzügen gelegt hatten. Das konnte nur
gelingen, weil sie zahlreiche Täter bereits als Kleinkriminelle kannte und
überwachte - aber nicht die richtigen Schlüsse aus ihren Erkenntnissen zog.
So nahmen Drogenfahnder an, in abgehörten Telefongesprächen sei von
Haschisch die Rede gewesen, als es in Wirklichkeit um Sprengstoff ging.

Seither ist die Aufmerksamkeit gestiegen. Kürzlich nahm die spanische
Polizei in Barcelona zehn Pakistaner fest, die islamistische Gruppen in
Nordafrika unterstützt haben sollen. Sie alle waren ebenfalls wegen
kleinerer Delikte aktenkundig.

Im internationalen Terrorismus, vor allem im Irak und in Tschetschenien, hat
sich ein undurchdringliches Geflecht aus Organisierter Kriminalität und
Terrorismus gebildet. Der Terror finanziert sich mit Geiselnahmen und
Drogenhandel, dubiose Quellen liefern Waffen und Sprengstoff.

Eine Entwicklung, die auch deutschen Fahndern Kopfschmerzen bereitet. Auch
für sie ist mittlerweile alles von Interesse, was dem logistischen Bedarf
der Extremisten nützen kann. Dazu gehören falsche Pässe und Blankodokumente,
Autos, Waffen und Sprengstoff, gestohlene Kreditkarten oder Handys. "Der
Bedarf", so Reinhard Tencz, Leiter der Staatsschutzabteilung im
baden-württembergischen Landeskriminalamt "ist extrem hoch."

Deshalb untersucht das BKA derzeit die Verbindungen von Islamisten zu
Fälschern und Schleusern. Zumindest im Passfälschermilieu, so das Ergebnis,
treffen sich Täter aus beiden Szenen. Gefälschte Papiere aus den gleichen
Quellen tauchen sowohl bei Kriminellen als auch bei Islamisten auf. Mit
solchen Pässen werden Kämpfer in die Kampfgebiete geschleust und wieder
hinaus, insbesondere Dokumente aus EU-Staaten ermöglichen ein nahezu
problemloses Reisen quer durch Europa bis in die USA.

Anfang Oktober ging das Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum Schleusung
(GAS) von Bundesgrenzschutz (BGS) und BKA in Betrieb. Dort sollen erstmals
Daten aller Polizeibehörden, auch aus den Ländern, gebündelt werden. Immer
öfter stoßen die Ermittler zudem auf Fälle, in denen sich Islamisten der
Tricks und Kniffe krimineller Strukturen bedienen. "Es wäre ein Fehler",
appelliert Staatsschützer Tencz, "sich im Kampf gegen den Islamismus allein
auf terroristische Täter zu konzentrieren."

Verstärkt geht die Polizei Hinweisen nach, dass Beute aus Raubüberfällen und
Kfz-Verschiebungen in islamistischen Kreisen versickert. Bei den Tätern
jedenfalls, die überwiegend in einschlägigen Moscheen verkehren, bleibt das
Geld nicht. "Wir brauchen", sagt Ratzel, "einen offensiven Austausch
zwischen Polizeien und Geheimdiensten anderer Länder, um die Verbindungen
der Terroristen ins kriminelle Milieu aufzudecken."

Gegen manche Täter, die wegen allgemeiner Delikte verurteilt wurden, laufen
weitere Verfahren wegen Unterstützung terroristischer Vereinigungen. "Die
Menschen verlieren mit dem Urteil ja nicht ihren islamistischen
Hintergrund", so der baden-württembergische Staatsschützer Tencz. Im
Gegenteil. Die Haft könne diesen sogar noch stärken. Regelmäßig appelliert
Tencz an Staatsanwälte und Kollegen, alle Indizien für Terrorismus zu
beachten: "Wir müssen auf bestimmte Delikte auch durch die Brille des
Staatsschützers schauen."

In Bayern trugen diese Bemühungen bereits Früchte. Im Rahmen des Projekts
Akis (Aufklärung krimineller islamistischer Strukturen) wurden Spezialisten
in allen Polizeipräsidien eingesetzt und mit anderen Behörden vernetzt. Ein
spezielles Computerprogramm kann abweichende Schreibweisen arabischer Namen
zusammenführen.

So konnte im vorigen Dezember der Iraker Mohammed L., 31, am Münchner
Hauptbahnhof festgenommen werden. Er soll mit der Terrororganisation Ansar-e
Islam kooperieren, die angeblich mit al-Qaida verbunden ist, und sie mit
Spenden und Kämpfern versorgt haben. Rund die Hälfte der über Deutschland in
den Irak Geschleusten ist von ihm unterstützt worden.

Die Vermischung von Islamisten und Kriminellen findet der Hamburger
Verfassungsschützer Manfred Murck "häufig in einem bestimmten
Migrantenmilieu". Dort gebe es eine "symbiotische Struktur" aus
Glücksrittern und Gestrauchelten, in der man sich mit kleinen Deals, Tricks
und falschen Papieren über Wasser hält. Wo jeder jedem hilft, wo man
irgendwie klarkommen muss und doch den Absprung in die hiesige Gesellschaft
nicht schafft.

Manchem Hoffnungslosen, befürchtet Murck, könnten Islamisten zu einem neuen
Lebenssinn verhelfen. So wie einem mutmaßlichen Hintermann des Anschlags auf
die Synagoge auf der tunesischen Ferieninsel Djerba 2002, Christian
Ganczarski, 37. Er war Mitte der achtziger Jahre in Mülheim wegen Diebstahls
und Drogenhandels verurteilt worden. Später konvertierte er zum Islam, wurde
Bin-Laden-Fan und ließ sich in Afghanistan ausbilden. Noch kurz vor dem
Selbstmordanschlag, bei dem 21 Menschen starben, darunter 14 Deutsche, rief
der Attentäter bei ihm in Duisburg an und ließ sich seinen Segen erteilen.

"Uns liegen Fatwas vor", so Staatsschützer Tencz, "nach denen Muslime sich
keine Sorgen machen müssten, wenn sie die angeblich dekadente westliche
Gesellschaft der Ungläubigen mit Straftaten überziehen." Im Gegenteil: Die
Schwächung des Feindes sei sogar sinnvoll. Eine schlichtere Rechtfertigung
gibt es wohl kaum, um aus Kriminellen ein williges Werkzeug der Drahtzieher
des Terrors zu machen.

Prominentestes Beispiel solch wundersamer Wandlung ist einer der
meistgesuchten Terroristen der Welt, der Jordanier Abu Mussab al-Sarkawi.
Als Chef der Terrorgruppe Ansar-e Islam wird er für zahlreiche blutige
Anschläge und die grausame Enthauptung ausländischer Geiseln im Irak
verantwortlich gemacht. Auch Ahmed Fadhil Nasal al-Chaleila, so sein
Geburtsname, hatte seine Laufbahn in seiner jordanischen Heimatstadt Sarka
als ganz gewöhnlicher Kleinkrimineller begonnen, bis er sich den
Gotteskriegern anschloss.

Solche Karrieren veranlassen deutsche Verfassungsschützer dazu, durch die
Knäste zu tingeln und das Wachpersonal zu bitten, islamistische Umtriebe
hinter Gittern zu melden. Schließlich kamen viele spätere Terroristen
zunächst als kleine Kriminelle in Haft - und verließen die Gefängnisse als
fanatische Islamisten.

"Persönliche Umbruchsituationen", resümiert Jan Keller vom Bundesamt für
Verfassungsschutz, "begünstigen die Hinwendung zum radikalen Islam." Nur
diese Variante des Glaubens "mit ihren eindeutigen Aussagen ist die
ausreichend extreme Antwort auf die als extrem empfundene Lebenssituation".

Womöglich sind Gefängnisse - neben den einschlägigen Moscheen - auch
international die wichtigsten Rekrutierungsbasen des Dschihad. In
US-Gefängnissen sollen die Terrorverdächtigen José Padilla und Richard Reid
zum Islam konvertiert sein. Reid, der so genannte Schuh-Bomber, wollte sich
auf einem Transatlantikflug in die Luft jagen; Padilla, ein früherer
Straßenräuber, soll eine Attacke mit einer "schmutzigen Bombe" geplant
haben.

In einer Züricher Haftanstalt beispielsweise trichtert ein Imam albanischen
Häftlingen, die wegen Drogenhandels einsitzen, die Fundamente des Islam ein.
Und im Gefängnis der spanischen Stadt Topas haben Islamisten den Lesesaal in
eine Moschee verwandelt und die Ungläubigen ausgesperrt. Die stört nun in
aller Frühe der Ruf des Muezzin.

Nahöstliche Geheimdienste warnen neuerdings, die arabische
Muslimbruderschaft, aus deren Umfeld einige der gefährlichsten Terroristen
der Welt stammen, habe auch in Deutschland damit begonnen, unpolitische
Kleinkriminelle und unzufriedene Arbeitslose für die politisch-religiöse
Sache anzuwerben. Der Gedanke entstamme persönlichen Erfahrungen vieler
Radikaler, die selbst im Gefängnis saßen und von dort ihr Untergrundnetz
aufzogen (SPIEGEL 36/2004).

Auch ein Mann, der in der Islamistenszene nur "Mohammed, der Ägypter" hieß
und der sich als Drahtzieher der Anschläge von Madrid brüstet, saß
zeitweilig in deutscher Abschiebehaft in Ottweiler und indoktrinierte dort
Glaubensbrüder mit seinem islamistischen Allmachtsanspruch.

Dass die Mission unter Kriminellen erfolgreich sein kann, belegen zahlreiche
Beispiele. So zählten zu der Meliani-Gruppe, die einen Anschlag auf den
Straßburger Weihnachtsmarkt verüben wollte, aber vorher aufflog und in
Frankfurt verurteilt wurde, ein ehemaliger Wachmann, der durch den Diebstahl
von Werkzeugen auffiel, ein Ex-Knacki, der als Jugendlicher wegen
Körperverletzung und anderer Delikte 16 Monate in Haft saß, und ein
Sozialbetrüger, der mit Drogen gehandelt hatte.

Infiziert vom Stachel des Dschihad wurde auch der Palästinenser Aschraf
al-Dagma, als er 1995 wegen Drogenhandels eingesperrt wurde. Ihm sei die
Festnahme eine Lehre gewesen, erzählte er: "Ich habe

mich dazu entschieden, mit meinem bisherigen Tun Schluss zu machen." Das
meinte er ernst - aber ganz anders, als seine Bewährungshelfer glaubten.

Vor der Haft hauste er in einem heruntergekommenen Zimmer in Berlin, wo er
zwischen vergammelnden Lebensmittelresten und dreckigem Geschirr Heroin und
Kokain portionierte, um den Stoff dann am Bahnhof Zoo in kleinen Päckchen zu
20 Mark zu verkaufen oder selbst zu konsumieren.

Nach der Haft soll er ein Terrortraining in Afghanistan durchlaufen haben.
Jetzt steht er mit drei weiteren mutmaßlichen Mitgliedern des deutschen
Ablegers der Terrorgruppe al-Tawhid in Düsseldorf vor Gericht, weil sie
Anschläge auf jüdische oder israelische Ziele geplant haben sollen. Der
Auftrag kam angeblich vom Top-Terroristen Abu Mussab al-Sarkawi persönlich.
Falsche Pässe und Waffen aber wollten sie sich teils bei alten Bekannten
besorgen.

Die Biografien dieser Männer korrigieren das Bild islamistischer
Terroristen, das nach den Anschlägen des 11. September 2001 gezeichnet
wurde. In einer ebenso aufwendigen wie umstrittenen Rasterfahndung suchten
die Ermittler damals nach einem Typus, der heute eher als Exot unter den
Dschihadisten gilt: nach unauffälligen, unbescholtenen jungen Männern wie
die Truppe um Todespilot Mohammed Atta, fast allesamt scheinbar brave
Studenten.

Dieser Typ aber konnte "als durchgehendes Muster so nicht bestätigt werden",
sagt Verfassungsschützer Keller. Das Bild der Islamistenszene ist heute
bedeutend vielfältiger und auch diffuser, die Merkmale, die einen Islamisten
ausweisen könnten, sind so zahlreich, dass sie in keinen klaren Rahmen mehr
passen. Das Instrument der Rasterfahndung, wie Bundesinnenminister Otto
Schily es propagiert, brächte da nur eine hohe Zahl von Verdächtigen, doch
vermutlich wenige Fahndungserfolge.

DOMINIK CZIESCHE, ANDREAS ULRICH





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